Albert und Pauline – die Geschichte eines Storchenpaares:
Albert, ein stattlicher Weißstorch mit imposantem Federkleid, saß unruhig auf dem Nest, das er in den letzten Tagen mit viel Fleiß restauriert hatte. Der Winter mit seinen Stürmen, Schnee und Regen hatte dem Nest stark zugesetzt, und es waren einige Reparaturen notwendig geworden. Doch nun war sein Werk vollbracht, nur noch ein paar kleine Ausbesserungen würden von Nöten sein, wenn sie erst einmal angekommen war.
Albert war stets der Erste, der von seiner anstrengenden Reise aus Afrika zurück in das norddeutsche Nistgebiet kam. Sein Blick schweifte immer wieder gen Süden, in Erwartung seiner treuen Partnerin Pauline. Ihr baldiges Eintreffen war ein sehnsüchtiger Wunsch, der Alberts Gedanken beherrschte.
Im Alter von vier Jahren war er in das Nistgebiet seiner Eltern zurückgekehrt und hatte sich dort eine neue Existenz aufgebaut. Anfangs hatte er sein Nest oft gegen Rivalen verteidigen müssen, doch mit sieben Jahren hatte er sich ein festes Revier geschaffen. Die Nachkommen seiner ersten erfolgreichen Brut hatten bereits eigene Familien gegründet.
Jedes Jahr hoffte Albert darauf, dass er mit Pauline wieder vereint sein würde, um für weiteren Nachwuchs zu sorgen. Die über 10.000 Kilometer lange Reise nach Afrika barg viele Gefahren und Risiken, und manchmal hatte Albert darüber nachgedacht, einfach in Norddeutschland zu bleiben. Doch immer wieder trieb es ihn und Pauline auf den Weg nach Afrika, so wie es schon so viele Generationen vor ihnen getan hatten.
Pauline ist zurück
Schließlich, an einem sonnigen Tag mit einem lauen Lüftchen, erblickte Albert in der Ferne eine Gruppe Störche, die sich allmählich näherte. Sein Herz raste vor Freude, als er Pauline erkannte. Mit lautem Klappern begrüßte er seine Liebste und auch Pauline konnte ihre Freude kaum verbergen. Gemeinsam standen sie im Nest, waren alle Mühen und Anstrengungen der Reise vergessen.
Bald darauf legte sich Pauline müde in das Nest. Stolz wachte Albert über sie. Nichts sollte ihr jetzt noch gefährlich werden, solange er da wäre.
Die zweite Märzwoche brach an und Albert kümmerte sich liebevoll um das Gefieder von Pauline. Er kraulte sie an Stellen, die sie selbst nur schwer erreichen konnte. Pauline stand aufrecht im Nest und Albert tanzte um sie herum. Schließlich konnte sie seinem Werben nicht widerstehen und so war er bald mit wedelnden Flügeln über ihr. Die schlagenden Flügel waren Zeugnis seiner Erregung, sollten ihn aber auch im Gleichgewicht halten.
Nach ihrer Liebelei widmeten sie sich ausgiebig der Gefiederpflege, denn es war einiges durcheinandergekommen. Sie richteten es wieder her und genossen die Zweisamkeit.
Nestbau und Nachwuchs
Einst hatte Albert längere Zeit nach geeigneten Stellen für den Nestbau gesucht. Sollte er auf einem Hausdach sein Nest errichten, eventuell auf einer Kirche? Manche Kameraden bauen sogar auf Strommasten ihr Nest, aber das wäre Albert viel zu gefährlich gewesen.
Schließlich entdeckte er dann einen großen langen Mast, auf dem die Menschen schon die Grundlage für ein zu bauendes Nest geschaffen hatten. Da er der erste war, der diese Stelle entdeckt hatte, nahm er die Einladung gerne an und so entstand nach einiger Zeit ein prachtvolles Nest, zu dem er alljährlich zurückkehrte.
Überhaupt ist das so eine Sache mit der ewigen Treue der Paare bei den Störchen. Die Treue gilt eigentlich dem Neststandort und nicht dem Partner. Aber weil sie ja nach jeder Reise wieder ihr Nest anfliegen, bleiben die Paare auch viele Jahre die gleichen. Sollte allerdings die Partnerin einmal viel zu spät ihr Ziel erreichen und eine andere Dame würde vorher um die Gunst des Hausherrn gebuhlt haben, könnte es nach einer Auseinandersetzung zu einer neuen Partnerschaft für Albert kommen.
Nach zwei Tagen war das erste Ei im Nest. Mit lautem Klappern begrüßten sie es und es sollten noch drei weitere Eier folgen, die bebrütet werden mussten. Etwa fünf Wochen würden sie sich nun bei der Brut abwechseln.
Die schwere Zeit der Brut
Die Brutzeit war anstrengend, vor allem wenn die Sonne heiß vom Himmel brannte oder heftige Regenfälle und Stürme auf die brütenden Eltern einprasselten. Doch Albert und Pauline fanden Wege, sich abzukühlen, indem sie ihren Urin an den Beinen herunterlaufen ließen. So schufen sie eine weiße Schicht auf den Beinen und über diese kühlten sie ihre Körper ab. Nach 31 Tagen war es endlich soweit:
Die erste Eischale zerbrach, und ein kleines, feuchtes, noch blindes Wesen erblickte das Licht der Welt. Die Eltern huderten die geschlüpften Jungen, um sie so mit ihren Federn zu trocknen. Fast einen Monat würde es dauern, bis die Kleinen selbständig im Nest sitzen könnten, aber schon kurz nach der Geburt begannen sie mit zartem Klappern nach Futter zu verlangen. Mit ihren winzigen Flügeln schlugen und klopften sie gegen den Schnabel der Eltern. So entsteht bei den Eltern der Würgereiz, mit dem sie die Nahrung herauspressen.
In seiner Jugend hatte Albert oft Müll aus der Umgebung gesammelt, um Löcher im Nest zu stopfen. Papier, Plastikreste, Bänder und Gummireste hatten so ihren Weg in das Nest gefunden und waren zur Gefahr für die Jungen geworden. Leider kam es vor, dass junge Störche durch den achtlos weggeworfenen Müll der Menschen ums Leben kamen.
Die Eltern hatten alle Hände voll zu tun, denn der Appetit der Kleinen war schier unersättlich. Manchmal flogen sowohl Albert als auch Pauline los, um Futter für ihre Nachkommen zu besorgen. Doch auch diese Ausflüge brachten Gefahren mit sich, denn Marder und Raubvögel lauerten auf die Jungstörche. Glücklicherweise konnten die Kleinen sich durch „Akinese“ schützen, einem Todesreflex, der Raubtiere glauben ließ, es handele sich um tote Vögel im Nest.
Bis in den Juli hinein würden die Jungstörche heranwachsen und flügge werden, um ihren Eltern auf die Wiesen und Felder zu folgen. Ihnen bleibt nur etwa ein Monat, um Kräfte für den langen Flug nach Afrika zu sammeln, denn sie würden früher abreisen als ihre Eltern. Doch Albert und Pauline wussten, dass sie zusammen stark waren und dass ihre Liebe und ihr Überlebenswille an Generationen von Störchen weitergegeben wurden.
Die große Reise beginnt für Albert und Pauline
Es war eine Zeit des Wandels, als die jungen Störche schließlich selbstständig wurden. Ihre Ausflüge wurden immer länger, und eines Tages kehrten sie nicht mehr zurück. Albert und Pauline wussten, dass ihre kleinen Nachkommen nun ihren weiten Flug nach Afrika angetreten hatten. Mit dem veränderten Tageslichtzyklus und den sich ändernden Jahreszeiten spürte auch das Storchenpaar die innere biologische Uhr, die sie zur Migration antrieb. In der Nachbarschaft bereiteten sich auch die anderen Störche auf ihren Abflug vor. Einige Mitglieder der Kolonie begannen bereits ihren Zug.
Eine längere Zeit wurde diskutiert welche Route man einschlagen sollte. Schließlich entschieden sie sich, auf den erfahrenen Albert zu hören, der mit der Westroute bessere Erfahrungen gemacht hatte. Auf beiden Routen war die Überquerung des Mittelmeeres stets der schwierigste Teil.
Albert hatte in den letzten Jahren immer die Westroute gewählt, da diese deutlich kürzer war als die Ostroute. Viele ihrer Artgenossen blieben bereits auf der iberischen Halbinsel oder in Marokko, weil es dort große Mülldeponien gab, auf denen sie reichlich Nahrung fanden. In früheren Zeiten flogen sie weiter bis in den Niger oder nach Nigeria. Auf der Ostroute hätten die Vögel 11.000 Kilometer über Bulgarien, den Bosporus, die Türkei, Syrien, Ägypten bis in den Sudan zurückgelegt, während die Westroute nur etwa 5.000 Kilometer betrug.
Der direkte Weg über Italien nach Afrika kam für Albert und Pauline nie in Frage, da sie im bevorzugten kräftesparenden Segelflug die weite Strecke über das Meer kaum überleben würden. Schon die 10 Kilometer über die Straße von Gibraltar stellt eine große Gefahr für alle Zugvögel dar.
Beim Start schlossen sich Albert und Pauline einem kleinen Verband an, während andere Störche lieber allein unterwegs waren. Die Wetterbedingungen waren günstig, und sie konnten meistens im Gleitflug die erste Etappe bis zu den Rieselfeldern bei Münster zurücklegen und brauchten nur gelegentlich auf den Ruderflug umschalten. Ihre Reise nach Afrika hatte begonnen, und sie waren bereit, die Herausforderungen zu meistern, die vor ihnen lagen.
Albert und Pauline – Start in die Ferne
Albert und Pauline warten mit dem Abflug bis die Sonne die Erde erwärmt hatte. Nun konnten sie die aufsteigenden thermischen Strömungen nutzen und langsam aufsteigen. Sie sparten so viel Energie, weil sie oft im Gleitflug die Aufwinde nutzen konnten und nur manchmal den Flügelschlag einsetzen mussten.
Knapp 300 Kilometer hatten sie bereits hinter sich gelassen, als sie die Rieselfelder bei Münster erreichen. Hier machten sie Rast, weil sie in den ehemaligen Verrieselungsflächen einen nährstoffreichen Boden vorfanden, in dem es reichlich Nahrung gab.
Heute sind die Rieselfelder ein Teil des NATURA 2000 Schutzgebietes. Nachdem sich die Störche ein paar Tage ausgeruht hatten, ging es über das Ruhrgebiet weiter. Hatten sie im Norden die Gefahren durch die vielen Windräder zu bewältigen, erheben sich in den Industriegebieten mächtige Stahlkolosse in den Himmel.
Mit weit ausgedehnten Armen stehen die Strommasten in der Fluglinie. Viele Störche lassen bereits hier ihr Leben und die Masten werden sie in allen Regionen begleiten.
Fremde Länder warten auf Albert und Pauline
Bei dem Flug über die Eifel empfindet Albert immer wieder große Freude, wenn er die beeindruckenden Maare sieht, die einst aus den Vulkanen entstanden sind. Doch während er über die Ardennen fliegt, erblickt er nur wenige Menschen, und das änderte sich kaum, als er das malerische Tal der „Haine“ im „Hennegau“ erreicht. Hier machte er mit Puline eine Pause an den klaren Wasserläufen.
Ganz in der Nähe befindet sich das Vincent van Gogh Museum in „Cuesmes“, wo der berühmte Maler des 18. Jahrhunderts eine Zeit lang gelebt hat. Doch im Moment hat Albert nicht viel Interesse daran. Er muss sich vor allem um das Auffüllen seines Energietanks kümmern und auf günstige Winde warten, die ihnen auf dem Weg nach Frankreich helfen können.
Das nächstes Ziel von Albert und Pauline waren die atemberaubenden Seenlandschaften der „Dombes“ in der Nähe von Lyon. Die Fischteiche sind während der Zugvogelsaison oft abgelassen, und der nährstoffreiche Boden bietet den Vögeln reichlich Nahrung. Viele von ihnen entscheiden sich jedoch auch, auf einer nahegelegenen Mülldeponie eine Rast einzulegen.
Die Reise führte dann weiter in den Süden Spaniens. Der Nationalpark „Las Tables de Daimiel“ bietet ausgedehnte Feuchtgebiete und Wasserflächen, die ideale Rastbedingungen für Störche bieten. Leider gibt es auch hier Mülldeponien.
Jetzt musste Albert sorgfältig überlegen, ob sie ihre Reise über Gibraltar fortsetzen sollten oder ob sie im Süden Spaniens verweilen wollten, bis ihn sein Flug wieder in Richtung Norddeutschland führt. Es galt viele Unsicherheiten auf diesem Weg abzuwägen, insbesondere wenn sie über Marokko, Algerien, Mauretanien, Mali und den Niger nach Nigeria fliegen würden.
In einigen dieser Länder werden Zugvögel gejagt und gegessen. Zudem waren die letzten Jahre von Trockenheit und Dürre geprägt, wodurch die Nahrung für die vielen Tiere knapp wurde. Nicht viele von ihnen hatten am Ende die Kraft, den Rückflug anzutreten, da ihre Kräfte erschöpft waren. Der Klimawandel war in Afrika dutlich zu spüren.
Ende einer Reise
Albert und Pauline hatten sich entschieden im Süden Spaniens zu bleiben. Auch sein Rückflug nach Norddeutschland verlief ohne Probleme. Von seinen Artgenossen, die in Deutschland geblieben sind, erfuhr er von dem warmen Winter im Norden und das die Menschen für die Daheimgebliebenen sogar Futter bereitlegten, damit es ihnen an nichts fehlen sollte.
Für unseren prächtigen Storch war es jetzt klar, dass er die nächst Reise in den Süden nicht mehr antreten würde. Er nahm sich fest vor bei Paulines Rückkehr in das heimische Nest mit ihr darüber zu sprechen. Man wird schließlich auch nicht jünger.
Beim Rückflug musste Pauline öfter eine Rast einlegen und Albert hatte es ja eilig, um schon einmal das Nest wieder vorzubereiten. Aber bald hatten die Beiden sich wieder fest in den Armen.
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