Das Röhren der Hirsche einmal in der Natur zu erleben, ist schon seit vielen Jahren mein inniger Wunsch. Aber immer wenn wir in Stolberg waren, war die Brunstzeit entweder schon vorbei, oder sie begann nach unserer Abreise.
Kein Wunder also das ich anlässlich der gerade beginnenden Drei-Tage-Tour in den Südharz kaum die Hoffnung habe, in den Genuss zu kommen das Röhren der Hirsche bei dieser Reise zu erleben.
Stolberg mit seinen 1400 Einwohnern ist eine malerische Fachwerkstadt am Südharz. Der große Auerberg, auf dem sich das stählerne Josephskreuz befindet, ist mit 840 Metern die höchste Erhebung.
Der Ort gehört seit ein paar Jahren zur neu geschaffenen Gemeinde Südharz und bietet ein modernes Hallen-Freizeitbad, obwohl es früher mit dem Waldbad ein wunderschönes Natur-Freibad besaß. In der Ortsmitte kann man ein kleines Theater besuchen. Als Standort für die Erkundung des südlichen und des oberen Harzes ist Stolberg ideal und sicher bekommt man in einem der Hotels oder der angebotenen Ferienwohnungen eine schöne Unterkunft.
Als Martin Luther einmal auf einer der Anhöhen stand und auf die kleine Stadt hinunter sah, verglich er sie mit dem Bild einer Taube. Das Schloss, indem 1506 die Gräfin Juliana zu Stolberg geboren wurde, bildet den Kopf des Vogels. Juliana zu Stolberg ist übrigens ein Grund, weshalb in der Stadt auch häufig Niederländer zu finden sind. Sie war nämlich die Stammmutter der Linie des Hauses Oranien. Ein Besuch des Schlosses sollte unbedingt mit eingeplant werden. Die Denkmalbehörde hat hier gute Arbeit geleistet und viele Räume sind bereits wieder restauriert.
Die Häuser in den Seitentälern bilden schließlich die Flügel des Vogels und der Rathausplatz, mit dem Thomas Münzer Denkmal, gestaltet formt Körper.
Das Röhren der Hirsche – wird es nun endlich ein Erfolg?
Es ist Samstag, ein trüber Tag und wir sind bei meinem Cousin eingeladen. Es ist mir immer eine besondere Freude dort zu sein, weil er so ein richtiger Waldmensch ist. Seit einiger Zeit ist auch er Rentner und er war bis dato noch nie außerhalb seines geliebten Waldes in Urlaub. Städte sind ihm ein Graus. Durch sein Grundstück fließt die Lude. ein sieben Kilometer langer Bach, der an dieser Stelle den Oberlauf der Thyra bildet. Große und kleine Wilde heißen weitere Bäche, die in die Thyra fließen, die wiederum nach 18 Kilometern in die Talsperre Kelbra mündet.
Die Frauen bleiben im Haus und genießen die Brote mit der wunderbaren, leckeren Harzer Wurst. Meine Lieblingswurst ist, neben der Blutwurst, die luftgetrocknete „Bratwurst“, die man bei uns als „Mettwurst“ bezeichnen würde. Allerdings kann eine „Mettwurst“ niemals mit einer Stolberger Bratwurst mithalten.
Wir Männer machen uns auf den Weg in den Wald. Ich erhalte einige Verhaltensmaßregeln und mein Cousin ist froh, dass ich eine dunkle Jacke anhabe. Das Blau der Jeans ist schon nicht ideal, wird aber so hingenommen. Bevor wir die Lichtung mit einer größeren Wiesenfläche erreichen, bleibt er stehen: „Hier können wir uns jetzt noch einmal erleichtern, in den nächsten zwei Stunden ist da nichts mehr zu machen“.
Mit äußerster Vorsicht gehen wir auf den Ansitz zu. Stets darauf bedacht, nicht auf ein Stück Ast zu treten, denn auf der Wiese steht bereits Rotwild. Wir sind wohl etwas spät dran. Es gelingt uns aber unbemerkt an den Hochsitz zu gelangen. Immer wenn eines der Tiere in unsere Richtung sieht, bleiben wir abrupt stehen und halten beim Aufstieg auf den Ansitz inne.
Wir sehen ein führendes Alttier mit einem Kalb und einem Wildkalb. In aller Ruhe grasen die Tiere auf der Lichtung. Die Begriffe, wie man das Rotwild nennt, lerne ich erst nach Ende unseres Beobachtungstrips. Ein „führendes Alttier“ nennt man eine Hirschkuh, die in Begleitung eines diesjährigen Kalbes und eines einjährigen Jungtieres, in unserem Fall eben einem Wildkalb (weiblich) ist. Ein einjähriges männliches Jungtier nennt man Hirschkalb.
Ich erfahre nun auch, dass es in einem Gebiet mit Rotwild keine Rehe gibt. Schließlich ziehen die Tiere ab in das Unterholz. Etwa eine halbe Stunde später raschelt es im Gehölz und eine Hirschkuh mit einem Kalb wandert über die Fläche. Nur wenig später, die Hirschkuh ist wieder verschwunden, knackt es neben uns erneut und da ist er, ein wunderschöner acht Ender Hirsch betritt majestätisch die Lichtung und zu meiner großen Freude bleibt er mitten auf der Wiese stehen und beginnt zu röhren.
Ich bin so erfreut und aufgeregt, dass ich mich nicht traue ein Foto zu machen. Schließlich wollen wir nicht seine Aufmerksamkeit auf uns lenken. Er hat aber offensichtlich den Geruch der Hirschkuh in der Nase und schon bald zieht er hinter ihr her und verschwindet wieder im Wald.
Wir hören noch zwei weitere Hirsche, die wir aber nicht zu Gesicht bekommen. Schließlich wird es langsam dunkel und wir beenden unsere Beobachtungstour. Nach vielen Jahren hat es nun endlich doch noch geklappt, dass ich das Röhren der Hirsche erleben durfte. Fehlt eigentlich nur noch ein Erfolg bei der Suche nach einer Stange (abgeworfenes Geweih), denn dass haben wir in den hinter uns liegenden Jahren auch schon einige Male versucht, aber leider nichts gefunden. Mein Cousin ist da erfolgreicher, denn er hat im ganzen Haus Stangen hängen und sogar die Lampen in der Wohnung sind aus Geweihen gestaltet.